Private Baugemeinschaften- der andere Weg zum Eigentum

Ein Artikel von Hans Weidinger – Architekt und Autor

Seit Arbeitslosenversicherung und Altersversorgung politisch diskutiert werden und
gleichzeitig Mieten und andere Lebenshaltungskosten steigen, denkt mancher über die
Anschaffung von eigenen vier Wänden nach, um seine Altersvorsorge auf diese Weise
etwas zu sichern. Mit der Streichung der Eigenheimzulage und der Reduktion anderer
Fördermittel ist Bauen jedoch -bei allgemein steigenden Preisen- eine kostspielige
Angelegenheit geworden. Da das „unternehmerische“ Risiko in der Regel auf den Schultern
eines einzelnen Bauherren lastet, will die Entscheidung gut überlegt sein.

Eine Alternative dazu bietet sich, wenn sich mehrere Bauwillige zu einer Baugemeinschaft zusammentun und so das Risiko teilen. Der entstehende Synergie-Effekt, die positive Überlappung von
Interessen, bewirkt einige Pluspunkte. Gegenüber den traditionellen Modellen, wie sie von
Bauträgern oder Wohnungsunternehmen angeboten werden, stellen die selbst organisierten
Wohnprojekte den gewohnten Ablauf auf den Kopf: Hier werden nicht zuerst die Häuser
gebaut und dann die Bewohner gesucht, sondern die interessierten Menschen finden sich
zusammen und suchen sich selbst fachkundige Planer und Baubetreuer für die Umsetzung
ihrer Vorstellungen.

Übereinstimmend erklären Bewohner jener Projekte, dass der wesentliche Vorteil darin besteht,
dass man seine Nachbarn schon lange vor dem Bezug kennenlernt. Bereits im Vorfeld können Gegensätze diskutiert und Positionen geklärt werden. Zugegeben, manchmal scheiden sich im Laufe der Projektierungsphase auch die Geister. Unbestritten bleibt, dass ein lebendiges Miteinander nicht ohne Kompromisse entstehen kann. Bauen in der Gruppe beruht auf dem Kern demokratischer Tugenden: Konflikt- und Konsensfähigkeit. Gute Lösungen bedürfen daher vieler Gespräche. Als Ergebnis entstehen stabile Nachbarschaften mit mehr oder weniger stark ausgeprägten sozialen Bindungen. Dinge, Dienste oder praktisches Wissen und Können lassen sich leicht austauschen: sei es, dass der Hof begrünt oder während des Urlaubs Pflanzen gegossen, sei es, dass die Kinderbetreuung oder der Einkauf von Lebensmitteln organisiert werden. Deshalb findet dieses Modell bei älteren Menschen großen Anklang, die nach Alternativen zum Seniorenheim suchen. Aber auch Familien mit kleinen Kindern oder allein erziehende Mütter können sich so ein attraktives Wohnumfeld schaffen. Als Bonusleistung ist bei
manchen Projekten eine gemeinsam genutzte Waschküche, eine Hobbywerkstatt oder eine
Gästewohnung entstanden. Das Potenzial, das solche Nachbarschaften bieten, trägt auch
zu stärkerem bürgerschaftlichen Engagement bei.

Die Stadt Hamburg hat diesen Vorteil früh erkannt und fördert seit Jahren selbstorganisierte Wohnprojekte: etwa 100 gebaute Beispiele beweisen die Aktualität dieser Idee. Dabei sind solche Wohnformen nicht neu. Genossenschaften und Beguinenhöfe haben schon früher ähnliche Ziele verfolgt. Die ersten gemeinschaftlichen Bauprojekte jüngster Zeit sind um 1990 nach dem Abzug französischer
Truppen in den ehemaligen Kasernen Freiburgs und Tübingens entstanden. Seither wurden
deutschlandweit besonders in Sanierungsgebieten oder in Modellsiedlungen großer Städte
ähnliche Baugemeinschaften ins Leben gerufen.

Die Organisationsform reicht von größeren Genossenschaften mit 60 Teilnehmern, wie zum Beispiel von „wagnis e.G.“ in München, bis hin zu kleinen Eigentümergemeinschaften, wie dem Selbstnutzerprojekt in Leipzig mit sechs Bauherren. Beim Projekt der wagnis eG liegen Genossenschafts- neben
Eigentumswohnungen, freifinanzierte neben geförderten Wohnungen, während im
konventionellen Wohnungsbau hierfür getrennte Häuser erstellt werden müssen und damit
soziale Trennung hervorgerufen wird. Gemeinsam ist allen Projekten der Schutz der
Individualität und Privatsphäre ebenso wie die Berücksichtigung sozialer Einbindung. In fast
allen Wohngruppen spielen auch ökologisches Bewusstsein und umweltfreundliches
Verhalten eine große Rolle: angefangen bei den Bauprodukten und autofreien Wohnwegen,
über nachhaltige Energieversorgung- und -verteilung bis hin zu Einkaufskooperativen. Auch
soziale Aspekte wie behindertenfreundliches Wohnen oder Gemeinschaftswohnungen mit
gemeinsamer Wohnküche können berücksichtigt werden.

Gemeinschaftsorientiertes Wohnen bietet neben den weichen Faktoren aber auch handfeste ökonomische Vorteile. Geteilte Kosten beruhigen nicht nur die Nerven, sie ermöglichen auch eine Reduktion der
Baukosten gegenüber Bauträgermodellen um bis zu 20%. Um die gewünschten Vorteile
auch wirklich auszuschöpfen, bedarf es natürlich einer soliden rechtlich-finanziellen
Konstruktion mit entsprechenden Verträgen. Darüberhinaus sollte der Bau gemeinsam mit
den Architekten gut geplant und so konzipiert sein, dass ein harmonisches Gleichgewicht
zwischen individuellen und gemeinschaftlichen Vorstellungen hergestellt wird. Dem Bauen in
der Gruppe sind fast keine Grenzen gesetzt, außer die, die ihm seine Bauherren setzen.

Hans Weidinger, Architekt / Autor

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